Von Wickelmonstern & Pipiprinzessinnen…

Immer mal wieder bekommen wir Nachrichten zum Thema Wickelprobleme:

 “Mein Sohn ist nun 11 Monate und das Wickeln entwickelt sich zusehends zu einem Kampf. Was kann ich tun?”

Oder:

“Sie meckert, weil die Nässe sie stört. Wie soll ich das in den Alltag integrieren? Ich kann doch nicht dauernd wickeln?!”

Auch wird einem als frisch gebackene Eltern gerne mal erzählt, dass solche ‘Allüren’ ja gar nicht gehen und man das dem Kind am besten schnell abgewöhnt. Fatal! Denn beide Verhaltensweisen sind äußerst wertvoll!

 

Mein großes Wickelkind: Wickelautonomie

Wickeln ist nicht zu allen Entwicklungszeiten eine Lieblingsbeschäftigung. Selbst kleine Babys können schon Wünsche nach Autonomie zeigen. Prinzipiell geschieht das Wickeln auf freiwilliger Basis: Ein Nein vom Kind ist ein Nein. Es gilt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Dennoch darf und soll nach Auslösern und dann nach Kompromissen gesucht werden. Regeln und Riten dürfen hier durchaus verlassen werden. Es muss manchmal Platz für neue Ideen beim Wickeln gemacht werden.

Mögliche, schnell behebbare Mit-Auslöser können sein:

  • Die Windel sitzt unangenehm (zu eng an Bauch/Beine/zu kratzig)
  • Nässegefühl wird als unangenehm empfunden (siehe unten “Pipiprinzessin”)
  • Im Wickelzimmer ist es zu kalt (Wickelplatz z. B. im Bad einrichten – falls es dort im Winter immer warm ist / Alternativ: Wärmelampe*)
  • Kalte Windel (kurz mit der Innenseite auf die Heizung)
  • Kalte Unterlage (Mulltuch vorher auf die Heizung und dann als Wickelunterlage)
  • Kalte Hände (vorher unters warme Wasser halten)
  • Rückenlage beim Wickeln (Windeln im Stehen wechseln (sofern das Kind schon selbst steht))

Vermeintliches ‘Meckern’ sind Zeichen der Selbstbestimmung: So wie es ist, gefällt es mir nicht, ich will es anders! Aber wie anders? Das geht uns Erwachsenen manchmal doch auch so: So wie es ist, ist es blöd. Aber einen besseren Vorschlag habe ich gerade auch nicht. Da helfen auch das altbewährte Mobilee und Grimassen von Papa nicht mehr.

Einfühlungsvermögen und Kreativität gefragt. Beobachte dein Kind, versuche den Alltag etwas zu verlangsamen, nimm dir Zeit um die Bedürfnisse wahrnehmen zu können.

Wichtig ist, die einzelnen Wickelschritte mit der Stimme zu begleiten, also anzukündigen, was jetzt geschieht. Besonders schön bei etwas größeren Babys: Sich die eigene (Stoff-) Windel aussuchen zu dürfen. Das bringt Freude.

Extratipp:

Eine große Erleichterung bei heftigen Phasen der Wickelautonomie können Windelfreiklamotten sein, die es zulassen die Einlage beim Spielen/Krabbeln einfach auszutauschen. So bewahrt das Kind seinen Wunsch auf Selbstbestimmung und die Windel kann schnell gewechselt werden, ohne das Kind zu stören. Meist verfliegt diese teils heftige Phase nach einpaar Monaten wie sie gekommen ist. Das Kind hat einen anderen Zugang zum Wickeln bekommen, bzw. kann im Stehen gewickelt werden oder sich anderweitig besser beschäftigen.

 

Kinästheitscher Aspekt: Sanfte Wellen

Beim Halten, Ablegen und Drehen in der Wickelsituation kann man es dem Baby angenehmer machen, indem man auf seine natürlichen Körperreaktionen eingeht. In der Kinästhetik lernt man rundes, entwicklungsgerechtes Bewegen des Kindes. Es fühlt sich wohl, die Situation im Mutterleib wird nachgeahmt. Beispielsweise wird das Baby nicht einfach an den Beinen nach oben gehoben, sondern sanft zur Seite gewendet, die Windel untergelegt und wieder auf den Rücken gedreht. Hier lohnt es sich, tiefer einzusteigen und evtl. einen Kurs zu machen. Viele Hebammen zeigen euch aber automatisch einige Griffe (Empfehlenswerte DVD*). Diese Bewegungsabläufe als Spiel mit einzubauen, fördert die Bindung und die allgemeine Bewegungsentwicklung.

Prinzessin auf der Erbse alias Nässefeedback

In einer interessanten Studie zum Trockenwerden aus Kanada (Klick) wird auf zwei Lernfenster aufmerksam gemacht:

1. Vor dem ersten Geburtstag

2. Zwischen dem 18. und 24. Monat

In dieser Zeit geht es vor allem darum, auf die Nässereaktion des Kindes einzugehen und sie nicht zu ignorieren. Findet das statt, werden die Kinder durchschnittlich leichter und schneller trocken.

Wenn euer Kind also auf Nässe mit ‘Meldung’ reagiert, habt ihr keine Pipiprinzessin/Prinz, sondern ein natürliches Nässefeedback:

“Eine nasse Windel ist nicht auf Dauer ok, bitte Wechseln. Oder: Aaachtung bitte mich irgendwo hinhalten, ich will meine Klamotten (Windel) nicht nass machen. Ihr seht: Keine Schickane, sondern eine ganz tolle Sache

Es gibt auch hierbei mehrere Lösungsansätze, die helfen können:

  • Abhalten: Wird das Baby beim wickeln abgehalten und macht Pipi, verlängert sich so das Intervall für die Windel also die Zeit bis zum nächsten Pipi. Andernfalls kann es passieren, dass direkt nach dem Wickeln schon wieder Pipi gemacht wird und ihr wickeln müsst.
Besonders leicht geht ‘Abhalten’ mit spez. Windelfreikleidung. Hier: Windelmanufaktur*
  • Windelfrei: So lange das Baby noch nicht mobil ist, sich aber ablegen lässt, kann man es ohne Windel oder nur mit Mullwindel liegen lassen. Sobald Pipi kommt und das Baby meckert, kann man schnell und einfach die Mullwindel um oder unter dem Baby wechseln. Auch zum Mittagsschlaf kann man Babys gut windelfrei lassen, da im Schlaf kein Pipi gemacht wird. Evtl. kann es zu Unruhe beim Schlafphasenwechsel und dann auch zu Pipi durch Kurzes Wachwerden kommen. Daher unbedingt was drunter legen 🙂
  • Trockeneinlagen: Es gibt Einlagen aus Wolle* und aus Mikrofaser*, die die Feuchtigkeit direkt an die Einlage weiter leiten und so den Po trocken halten. Das minimiert das Nässe-Empfinden und so kann die Windel länger am Baby bleiben. Versucht aber immer wieder ohne diese zu wickeln, damit das Baby seine Ausscheidungen spüren kann – denn sonst habt ihr denselben Effekt wie bei Wegwerfwindeln (Superabsorber).

Erst ab- und dann antrainieren?

Auch langfristig ist das Nässe-Feedback super, wenn es ums Trockenwerden geht. Daher versucht nicht, dem Kind abzutrainieren, was es Sinnvolles von Mutter Natur mitbekommen hat. Permanentes ‘Trockenlegen” trotz Pipi in der Windel kann das Nässegefühl irritieren und den Reifeprozess stören. Mit der Zeit bilden Babys mit Nässefeedback ihre Fähigkeit zum Schwallpinkeln immer mehr aus. Das heißt, sie können das Pipi länger einhalten und tun dies auch. Das Wickelintervall wird sich also deutlich verlängern.

Beispielsweise entwickelt sich ein 15–30 Minuten Intervall mit 15 Monaten auf 1-3 Stunden (Angaben sind individuell)

Häufige, anstrengende Wickelintervalle werden euch höchstwahrscheinlich nicht lange erhalten bleiben. Ihr müsst also nicht für immer alle 30 Minuten wickeln 😉 . Auch wenn ‘Windelfrei’ kein Garant für frühes Trockenwerden ist (und dies auch nicht zum Ziel hat!), ein gut erhaltenes Gefühl für die eigenen Ausscheidungen zeigt sich oftmals später positiv. Und auch die Autonomiewünsche beim Wickeln (und anderswo) entwickeln sich: Das Kind kann seine Bedürfnisse immer besser kommunizieren und hat gelernt, dass diese wichtig und richtig sind. Eine tolle Lektion des Lebens.

Also bitte keine Märchen von bösen Wickelmonstern und zickigen Pipiprinzessinnen – nur ganz normale, kleine, sehr liebenswerte homo sapiens.

 

 

Diesen Artikel schrieb für dich Julia, 34, Mama eines Sohnes seit Februar 2016. Sie wickelt von Geburt an mit Stoffwindeln und hat diesen Blog im Juli 2016 gegründet. Ihr liegt das Wickeln mit Naturmaterialien und eine naturnahe, bedürfnisorientierte Säuglingspflege besonders am Herzen.

 

* Links enhalten Affiliate Links. Der Blog bekommt einen kleinen Prozentanteil wenn ihr über den Link tatsächlich etwas kauft und für euch enstehen keine Mehrkosten. „Stoffwindelguru“ darf weiter für euch wachsen und Berichte schreiben.